Rückblick auf die am 25.10.2012 von der ESPON-Kontaktstelle organisierte Konferenz in Luxemburg
In den kommenden Monaten muss Luxemburg seine künftige Raumordnungspolitik skizzieren. Die ESPON-Kontaktstelle in Luxemburg hat diese Gelegenheit ergriffen, um eine Diagnose zu präsentieren und eine Diskussion mit Fachleuten zu eröffnen. Worum geht es bei dieser Konferenz? Die aktuellen Diskussionen sind in vielerlei Hinsicht für die kommenden Jahre entscheidend. Europa schafft die Grundlagen für seine künftige Bankenunion. Derzeit wird über das gemeinsame Budget für den Zeitraum 2014 bis 2020 verhandelt. Zugleich sind die politischen Prioritäten für die kommenden Jahre bekannt. Die Strategie Europa 2020 soll zu einem „intelligenten, integrativen und nachhaltigen Wachstum“ führen. Kurz zusammengefasst stehen Innovation, Forschung und Entwicklung, Beschäftigung, Ausbildung und erneuerbare Energien im Zentrum dieses Strebens. Zwei Bausteine sollen Luxemburg die Umsetzung dieser Ziele ermöglichen. Beim ersten handelt es sich um einen europäischen: Im Rahmen der Regionalpolitik wird Luxemburg für den Zeitraum 2014 bis 2020 einen Betrag für nationale Projekte, grenzübergreifende Projekte (INTERREG Großregion) und transnationale Projekte (insbesondere INTERREG B und C) erhalten. Der zweite Baustein ist auf nationale Angelegenheiten ausgerichtet. Genau wie seine Nachbarn hat Luxemburg europäische Zielsetzungen der Strategie Europa 2020 in dem nationalen Reformprogramm (Programme national de réformes, PNR) an die nationalen Gegebenheiten angepasst. In diesem Programm werden die politischen Prioritäten für die kommenden Jahre festgelegt. Innovation, Arbeitsmarkt und erneuerbare Energien betreffen verschiedene Ressorts aber auch verschiedene Ebenen wie die lokale, nationale und grenzübergreifende Ebene. Gleichzeitig steht jede Ebene vor eigenen, die Raumordnung betreffenden Problemstellungen. Für diese künftige Raumordnungspolitik besteht die Aufgabe, bei der Umsetzung der Luxemburger Ziele Kohärenz zu gewährleisten. Ein Thema ist die Regierungsführung. Aber auch die territorialen Herausforderungen, denen sich Luxemburg gegenüber sieht, müssen diagnostiziert werden.
Diagnose & Überlegungen
Zwei Beiträge trugen zur Diagnose und zu den Überlegungen bei: der Beitrag von Estelle Evrard, Universität Luxemburg, und der von Martine Hildgen, die Pierre Thielen vom Observatoire de la Compétitivité vertrat. Der erste Beitrag ermöglichte die Standortbestimmung Luxemburgs im europäischen Kontext und die Offenlegung der speziellen Herausforderungen Luxemburgs auf Grundlage der ESPON-Ergebnisse. Der zweite Beitrag war auf Luxemburg fokussiert und bot eine Bestandsaufnahme.
Estelle Evrard, Martine Hildgen
Dabei wurden die aktuellen, bei der Umsetzung des nationalen Reformprogramms auftretenden Herausforderungen vorgestellt. Beide Vorträge sind im Anschluss an diesen Text verfügbar.
Hier nennen wir einige der wesentlichen Aspekte beider Beiträge:
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Im aktuellen europäischen Kontext der Staatsschuldenkrise war Luxemburg weniger betroffen als seine europäischen Nachbarn. Die Spezialisierung der luxemburgischen Wirtschaft auf den Finanzsektor macht sie jedoch in besonderem Maße verwundbar. Die Auswirkungen der Krise werden momentan besonders beim Anstieg der Arbeitslosenrate deutlich (4,1 % im Juli 2008 gegenüber 6,1 % im Juli 2012; diese Zahlen sind noch eindrucksvoller, wenn man die Situation in der Großregion betrachtet) sowie beim Anstieg der öffentlichen Verschuldung (das Maastricht-Kriterium von 60 % des BIP wird noch eingehalten, aber die Verschuldung hat sich zwischen 2007 und 2012 mehr als verdreifacht und stieg von 6,7 % auf die für 2013 prognostizierten 25 %).
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Beim „intelligenten Wachstum“, das Innovation, Forschung und Entwicklung begünstigt, dürften die Bemühungen beibehalten werden, um vor allem weiterhin sicherzustellen, dass der private Sektor in diesen Bereich nach wie vor investiert. Außerdem muss die fachliche Positionierung Luxemburgs konsolidiert werden, um auf den entsprechenden Gebieten eine kritische Masse zu erreichen. Dadurch soll das Land über kurz oder lang von den Früchten der Forschung profitieren und seine Position in den internationalen Forschungsnetzwerken konsolidieren können.
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Beim „integrativen Wachstum“ sind das Bildungs- und Ausbildungsniveau gegenüber dem europäischen Mittel eher gut. Dieses Thema betrifft auch die demografischen Fragen. Das Gleichgewicht des Rentensystems ist langfristig eine Frage von wesentlicher Bedeutung. Im Übrigen geben der grenzübergreifende Arbeitsmarkt und das schwächere demografische Wachstum in den Grenzregionen Anlass, grenzübergreifende Antworten anzustreben.
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Beim „nachhaltigen Wachstum“ sind zahlreiche Statistiken verfügbar, die zeigen, dass Luxemburg seine Leistungen diesbezüglich deutlich verbessern kann. Ist es angesichts der Tatsache, dass die luxemburgische Wirtschaft derzeit im Vergleich mit den Industrieländern nur wenig Energie verbraucht, richtig, seine Bemühungen auf bestimmte Gebiete wie den Transport und das Bauwesen zu konzentrieren? Wäre es daher richtig, Forschung und Entwicklung in diesen Gebieten zu unterstützen?
Diskussionen & Vorschläge
Die Diskussionen fanden auf dem Podium und in Interaktion mit dem Publikum statt. Auf dem Podium saßen Patrick Bousch, Oberster Rat für Raumordnung, Romain Diederich, Ministerium für Nachhaltigkeit und Infrastruktur, Jean-Claude Felten, Staatsministerium, André Loos, Ministerium für Landwirtschaft, Weinbau und ländliche Entwicklung sowie Elisabeth Mannes-Kieffer, Ministerium für Wirtschaft und Außenhandel.
Von links nach rechts: R. Diederich, P. Bousch, C. Schulz, E. Mannes-Kieffer, A. Loos, J.-C. Felten
Die Diskussionen konzentrierten sich in der Hauptsache auf zwei Themen:
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Sektorielle Prioritäten & Raumentwicklung
Die Arbeit für ein „intelligentes, integratives und nachhaltiges Wachstum“ berührt zahlreiche Gebiete, wie Wirtschaft, Landwirtschaft oder Forschung. Jeder dieser Politikbereiche hat seine eigenen Auswirkungen auf den Raum. Daher bezogen sich die Diskussionen auf einen sehr weit interpretierten Raumordnungsbegriff. Bevorzugt wurde der Begriff „Raumentwicklung“. Die Auswirkungen aller Politikbereiche auf den Raum müssen berücksichtigt werden. Außerdem muss dafür gesorgt werden, dass ihre Umsetzung die Prinzipien einer nachhaltigen und harmonischen Raumentwicklung achtet. Einer der Wege dahin ist die Einrichtung eines geeigneten Rechtsrahmens, mit dem eine kontrollierte Raumentwicklung möglich ist, ohne Wachstum und Innovation zu begrenzen. Diese Herausforderung konkretisiert sich mit der Überarbeitung eines Leitprogramms, die sich für 2013 abzeichnet. Schon jetzt werden einige Prioritäten diskutiert. Die urbane Dimension dürfte gestärkt werden. Das Ziel besteht insbesondere darin, die Ausweitung der Städte zu begrenzen. Die Rolle des ländlichen Raums müsste überdacht werden, damit er den Herausforderungen, die sich ihm stellen, gerecht werden kann. Die wirtschaftliche Dimension dürfte gestärkt werden. Vor diesem rechtlichen Hintergrund besteht der andere Pfeiler darin, die Kohärenz zwischen dem Leitprogramm und den aktuellen und künftigen Sektorplänen zu garantieren.
Bestimmte Bereiche wurden genauer behandelt:
- In der Landwirtschaft besteht die Herausforderung darin, einen guten Mix zwischen Bioenergie, allgemeiner Flächennutzung und landwirtschaftlicher Nutzung der Böden zu finden. Allerdings wurde im Energiebereich schon viel erreicht.
- Bei der wirtschaftlichen Entwicklung zielt die Abstimmung unter den Ministern über die Politik verschiedener Sektoren darauf ab, eine Politik zu etablieren, welche die Aspekte des Raums im Rahmen des künftigen Sektorplans zu ausgewiesenen Gewerbegebieten „Zones d'activités économiques“ besonders berücksichtigt. -
Raumentwicklung auf allen Ebenen
Zweifellos ist Luxemburg durch grenzübergreifende und europäische Zusammenhänge geprägt. Daher scheint es von wesentlicher Bedeutung zu sein, vor der Ausarbeitung einer speziellen Politik, die einzelnen Zusammenhänge zu berücksichtigen:
- Nationale und lokale Zusammenhänge müssen es ermöglichen, die politischen Prioritäten des nationalen Reformprogramms durch das Leitprogramm und die Sektorpläne mit der speziellen Raumsituation in Luxemburg zu vereinbaren.
- Die grenzübergreifenden Aspekte haben sich seit einigen Jahren tiefgreifend gewandelt und Luxemburg hat seinen politischen Willen gezeigt, eine wichtige Rolle bei ihrer Entwicklung zu spielen, vor allem durch Einrichtung des „Ministeriums für innere Angelegenheiten und für die Großregion“. Infolge des Projekts Metroborder wurden Diskussionen über eine grenzübergreifende Raumvision geführt. Das INTERREG-Programm für die Großregion dürfte die Durchsetzung der auf dem Gipfel festgelegten Prioritäten vereinfachen. Genau wie der Austausch mit anderen Netzwerken (z. B. MORO in Deutschland) kann ESPON nützlich sein, um die Kenntnisse über Grenzregionen zu verbessern.
- Gemeinsam mit seinen britischen, französischen, belgischen, niederländischen und deutschen Partnern beteiligt sich Luxemburg an dem Programm „North West Europe“. Themen wie die Verbindungen im Transportwesen sind von wesentlicher Bedeutung, um die Anbindung Luxemburgs an Europa zu gewährleisten.
- In Europa müssen nicht nur Prioritäten der Strategie Europa 2020 umgesetzt, sondern auch Verhandlungen über eine Regulierung des Finanzsektors geführt werden. Diese Diskussionen sind für den Finanzplatz Luxemburg grundlegend.
Mehrwert, Erwartungen und Perspektiven des ESPON-Programms
Die Diskussionen zu den künftigen INTERREG-Programmen werden konkreter. Ähnliche Überlegungen bestehen im Rahmen des ESPON-Programms. Diese Konferenz bot daher auch Anlass, Bilanz zu ziehen, welche Stärken und Schwächen dieses Programm bezogen auf Luxemburg hat. Die Ergebnisse des Programms wurden als interessant erachtet. Sie ermöglichen eine Diagnose und zeigen, wo Luxemburg im Vergleich zu den europäischen Nachbarn steht. Bestimmte Projekte (Metroborder, Ulysses, TERCO) beschäftigen sich eher mit grenzübergreifenden Zusammenhängen und boten die Möglichkeit zu einem Vergleich zwischen der Großregion und anderen Grenzgebieten im Hinblick auf Aufgaben und Institutionen.
In den Diskussionen hoben Teilnehmer und Zuschauer häufig die Notwendigkeit hervor, bestimmte Aspekte zu stärken:
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weitere Lieferung von Informationen und Daten hoher Qualität auf verschiedenen Ebenen (europäisch, grenzübergreifend, national) und deren langfristige Bereitstellung;
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eine gezieltere Unterstützung für INTERREG-Projekte und -Programme durch Lieferung von Indikatoren, mit denen sich die Situation eines Raums analysieren und seine Entwicklung über längere Zeit vergleichen lässt;
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Stärkung der Arbeit am „territorial impact assessment“; zwei Projekte wurden in diesem Bereich schon durchgeführt (TIPTAP und ARTS); dennoch bleibt es von wesentlicher Bedeutung, die Auswirkungen der europäischen Politik auf den Raum zu analysieren.
Es wurde bestätigt, dass nach 2013 ein drittes ESPON-Programm aufgelegt wird. Luxemburg wird weiterhin eine wesentliche Rolle bei dessen Leitung spielen. Die Koordinationseinheit wird weiterhin ihren Sitz in Luxemburg-Stadt haben. Derzeit ist vorgesehen, dass sich die Aktivitäten des künftigen Programms auf vier Prioritäten konzentrieren:
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„Produktion“: Arbeit an innovativer Forschung, um den Politikbedarf der Zukunft vorauszusehen;
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„Gateway“: Mobilisierung der Ergebnisse, um eine gezielte und schnelle analytische Antwort auf die Fragen aus der Politik zu geben;
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„Observatory“: Instrumente zur Nachverfolgung und Bewertung, insbesondere Datenbanken;
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„Outreach“: Unterstützung für die Nutzung und Verbreitung der Ergebnisse